Jagd auf die Große Bärin
Denkmal an den einreitenden Kapitalismus in Ostberlin
Peter Behrbohm & Anton Steenbock (SONDER)
Berlin, 2021
DDR Spielzeugcowboys Massstab 30:1 Model Art.Nr108 Bob Morris
DDR Spielzeug Lagerfeuer Massstab 30:1 Model Art.Nr 7/15 Feuer
Betongummie, GFK
Auf Pferden, die ihre Köpfe ins trockene Gras stecken, sitzen zwei Gestalten und spähen angestrengt in die Ferne. Auf beiden Seiten der Reiter rauschen Autos vorbei, die Fahrer*innen wundern sich über den seltsam vertrauten Anblick der beiden Revolverhelden – oder sind es -heldinnen? Schwarze Knopfaugen, dick übermalte rote Münder, knallbunte Hosen, taillierte Westen, ein Cowboyhut rot und einer blau, fast wie Clowns in Trachten. Gliedmaßen und Kleidung scheinen aus dem gleichen Gummi geknetet zu sein und die Pistolen sehen aus, als hätten sie sich diese auf die ausgestreckten Zeigefinger gemalt. Da wo sie hinstarren, steigt noch etwas Rauch auf, wie von einem eilig gelöschten Lagerfeuer. Keine hundert Schritte entfernt – haben da noch eben welche im Kreis gesessen?! Einige Passanten meinen sie gar zu kennen. Sind es Schurken aus den Ost-Western der DEFA? Wird die Karl-Marx-Allee jetzt zur Karl-May-Allee? Das ehemalige Stadtzentrum, rund um die große Prachtstraße Ostberlins, mit seinen orthogonal angeordneten Wohnriegeln in einer Steppe aus Gras und Beton wirkt wie die letzte noch dem Verwertungsdruck trotzende Leere der Stadt. Doch da kommen schon zwei Halunk*innen aus dem Wilden Westen angeritten, um sich, die Hüte tief ins Gesicht gezogen, auf dem letzten weißen Flecken der Landkarte ihren Claim abzustecken. Wo noch vor kurzem Autos parkten, bereiten sie den letzten Überfall vor. Auf den Hochhäusern warten bereits die Geier und schauen herunter auf zwei Feindbilder aus ostdeutscher Produktion, im Maßstab 30:1.
Die Figuren und das Lagerfeuer waren nämlich in der Tat einmal jedem Kind bekannt. Sie stammen aus dem Spielzeugsortiment der DDR und brachten den Klassenkampf der 1960er und 1970er in Wohnzimmer und Buddelkästen. Seite an Seite ließ sich die heimische Prärie mit Harka und seinen roten Brüdern vor den einfallenden Banditen und ihrem schurkenhaften Gesellschaftssystem beschützen. Um die Ureinwohner des Wilden Ostens, in ihren rechteckigen Tipis zwischen Schillingstraße und Jannowitzbrücke, ist es still geworden. Sie sind umzingelt, überrannt, haben sich sattgekauft an dem, was die Cowboys brachten und vergessen, dass sie sich einst für „Indianer“ hielten, für „Söhne [und Töchter] der Großen Bärin“.
Die von Liselotte Welskopf-Henrich (1901-1979) verfasste Romanreihe erzählt vom „Wilden Westen“ aus der Sicht der Ureinwohner Nordamerikas. „Harka“ und die „Söhne der Großen Bärin“ werden mit ihrem Erscheinen 1951-81 zum Bestseller, in der DDR und darüber hinaus. Spätestens seit der Verfilmung der Bücher durch die DEFA erlangten sie in der DDR eine enorme Popularität. Man identifiziert sich nicht nur mit der von den Kolonisten hintergangenen indigenen Bevölkerung Nordamerikas, sondern steigt in die selbst gemachte „Indianerklamotte“. Überall schießen Indianerclubs aus dem Boden und die „Indianistik“ wird zu einem Breitenphänomen, das westgewandte Regimegegner und Urkommunisten vereint. Anders als Karl May war die Autorin eine renommierte Historikerin und ihre Jugendbücher fußten auf eigenen Forschungen und Reisen in die Reservate der Ureinwohner in den USA und in Kanada. Anlässlich des 120. Geburtstags der Autorin werden Anfang September die lebensgroßen Plastiken auf der Karl-Marx-Allee installiert.
Jagd auf die Große Bärin
Denkmal an den einreitenden Kapitalismus in Ostberlin
Peter Behrbohm & Anton Steenbock (SONDER)
Berlin, 2021
DDR Spielzeugcowboys Massstab 30:1 Model Art.Nr108 Bob Morris
DDR Spielzeug Lagerfeuer Massstab 30:1 Model Art.Nr 7/15 Feuer
Betongummie, GFK
Auf Pferden, die ihre Köpfe ins trockene Gras stecken, sitzen zwei Gestalten und spähen angestrengt in die Ferne. Auf beiden Seiten der Reiter rauschen Autos vorbei, die Fahrer*innen wundern sich über den seltsam vertrauten Anblick der beiden Revolverhelden – oder sind es -heldinnen? Schwarze Knopfaugen, dick übermalte rote Münder, knallbunte Hosen, taillierte Westen, ein Cowboyhut rot und einer blau, fast wie Clowns in Trachten. Gliedmaßen und Kleidung scheinen aus dem gleichen Gummi geknetet zu sein und die Pistolen sehen aus, als hätten sie sich diese auf die ausgestreckten Zeigefinger gemalt. Da wo sie hinstarren, steigt noch etwas Rauch auf, wie von einem eilig gelöschten Lagerfeuer. Keine hundert Schritte entfernt – haben da noch eben welche im Kreis gesessen?! Einige Passanten meinen sie gar zu kennen. Sind es Schurken aus den Ost-Western der DEFA? Wird die Karl-Marx-Allee jetzt zur Karl-May-Allee? Das ehemalige Stadtzentrum, rund um die große Prachtstraße Ostberlins, mit seinen orthogonal angeordneten Wohnriegeln in einer Steppe aus Gras und Beton wirkt wie die letzte noch dem Verwertungsdruck trotzende Leere der Stadt. Doch da kommen schon zwei Halunk*innen aus dem Wilden Westen angeritten, um sich, die Hüte tief ins Gesicht gezogen, auf dem letzten weißen Flecken der Landkarte ihren Claim abzustecken. Wo noch vor kurzem Autos parkten, bereiten sie den letzten Überfall vor. Auf den Hochhäusern warten bereits die Geier und schauen herunter auf zwei Feindbilder aus ostdeutscher Produktion, im Maßstab 30:1.
Die Figuren und das Lagerfeuer waren nämlich in der Tat einmal jedem Kind bekannt. Sie stammen aus dem Spielzeugsortiment der DDR und brachten den Klassenkampf der 1960er und 1970er in Wohnzimmer und Buddelkästen. Seite an Seite ließ sich die heimische Prärie mit Harka und seinen roten Brüdern vor den einfallenden Banditen und ihrem schurkenhaften Gesellschaftssystem beschützen. Um die Ureinwohner des Wilden Ostens, in ihren rechteckigen Tipis zwischen Schillingstraße und Jannowitzbrücke, ist es still geworden. Sie sind umzingelt, überrannt, haben sich sattgekauft an dem, was die Cowboys brachten und vergessen, dass sie sich einst für „Indianer“ hielten, für „Söhne [und Töchter] der Großen Bärin“.
Die von Liselotte Welskopf-Henrich (1901-1979) verfasste Romanreihe erzählt vom „Wilden Westen“ aus der Sicht der Ureinwohner Nordamerikas. „Harka“ und die „Söhne der Großen Bärin“ werden mit ihrem Erscheinen 1951-81 zum Bestseller, in der DDR und darüber hinaus. Spätestens seit der Verfilmung der Bücher durch die DEFA erlangten sie in der DDR eine enorme Popularität. Man identifiziert sich nicht nur mit der von den Kolonisten hintergangenen indigenen Bevölkerung Nordamerikas, sondern steigt in die selbst gemachte „Indianerklamotte“. Überall schießen Indianerclubs aus dem Boden und die „Indianistik“ wird zu einem Breitenphänomen, das westgewandte Regimegegner und Urkommunisten vereint. Anders als Karl May war die Autorin eine renommierte Historikerin und ihre Jugendbücher fußten auf eigenen Forschungen und Reisen in die Reservate der Ureinwohner in den USA und in Kanada. Anlässlich des 120. Geburtstags der Autorin werden Anfang September die lebensgroßen Plastiken auf der Karl-Marx-Allee installiert.